Ihr Lieben,
Cornelius Pollmer; Foto: Amac Garbe |
Lieber Cornelius Pollmer,
wir standen ja im letzten Jahr nach meiner Rezension zu „Heut ist irgendwie ein komischer Tag“ bereits für eine kurze Zeit in Kontakt; umso mehr freue ich mich, dass Sie sich heute die Zeit nehmen, ein bisschen ausführlicher mit mir über Fontane, Ostdeutschland, Ihren kürzlich veröffentlichten Artikel über den Sänger und Liedermacher Gerhard Gundermann, aber vor allem über die Absichten hinter Ihren Büchern zu sprechen!
In Ihrem Buch “Heut ist irgendwie ein komischer Tag”, das 2019 im Penguin-Verlag erschien, wandern Sie auf den Spuren Theodor Fontanes durch einen Brandenburger Sommer auf der Suche nach Heimat. Sie schreiben: “Heimat sehe ich in dem, was mir bleiben soll, hoffentlich: bleiben wird.” (S.15). Was ist Ihnen von diesem Sommer geblieben?
Zugegeben: nicht wirklich viel. Ich habe versucht, Rudern zu lernen, war 33 Stunden an der Ostsee und habe das erste Mal in meinem Leben ein paar Balkonpflanzen lebend und grün und sogar blühend über den Sommer gebracht. Aber das wollten Sie jetzt alles gar nicht wissen, oder?
Also, geblieben ist mir von diesem Sommer auch eine Sehnsucht, eine Sehnsucht nach Gedankenlosigkeit. Man muss ja jetzt ständig Sachen beachten, Abstand, Maske, mögliche Infektionsketten. Das geschieht alles aus guten und wichtigen Gründen. Mir fehlt es, sich einfach treiben lassen zu können, mir fehlt es, mit nichts als einer Ahnung in den Tag oder auf Reisen zu gehen, ein bisschen unvorbereitet, ohne Absichten, nur in der Zuversicht, dass schon etwas Gutes passieren wird.
Einen ähnlichen Satz von Fontane zitieren Sie in Ihrem Buch - man müsse nur den guten Willen haben, das Gute zu finden. Konnten Sie diesen Vorsatz auf Ihrer Wanderung durch Brandenburg immer im Blick behalten?
Das denke ich schon, ja, das ist aber eine Korrespondentenkrankheit, die auch bei vielen Kolleginnen und Kollegen schon diagnostiziert worden ist: Wer lange genug oder sogar zu lange an einem Ort lebt, über den er oder sie journalistisch berichtet, der wird irgendwann auch Fan, Verteidiger und Anwalt dieser Region. Das muss im Grundsatz nicht falsch sein und gerade der Osten Deutschlands hat derlei Anwaltschaft auch verdient, wenn man das so sagen kann, weil er lange und umfangreich genug auch von Journalisten eher zoologisch betrachtet worden ist. Aber diese Anwaltschaft darf nie dazu führen, dass man die Augen vor Missständen verschließt oder generell zu nachsichtig wird, das ist die Gefahr.
Nun war ich ja in meiner Freizeit in Brandenburg und meine Leitidee lautete: Es wird über vieles Schlechte hier oft genug geschrieben - ich will jetzt einfach mal Alltag finden und davon erzählen. Ich finde es wichtig, nicht nur über extreme Ausprägungen menschlichen Seins zu berichten, sondern auch solchen Alltag zu würdigen. Das hat für mich etwas mit Aufmerksamkeitsgerechtigkeit zu tun.
“Aufmerksamkeitsgerechtigkeit” - welch ein schönes Wort! Ist dieses Gefühl, den Ort, über den man berichtet, verteidigen zu müssen, nicht auch wieder mit dem Suchen und Finden von Heimat verbunden? Wenn ich mich in einer Gegend heimisch fühle, stehe ich natürlich auch für diesen Ort ein. Hilft dagegen (auch in Ihrem beruflichen Kontext) dann nur: weiterwandern?
Das hoffe ich nicht! Die Orte selbst bleiben ja in Bewegung, und auch die Menschen, die an ihnen leben. In einer der Glocken der Dresdner Frauenkirche steht: Suchet der Stadt Bestes. Im Deutschen Requiem zitiert Brahms: Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Wobei ausgerechnet meine Heimatstadt Dresden auf fast alle Veränderung geradezu allergisch reagiert. Als sei Veränderung so etwas wie eine Krankheit.
Ist diese Furcht vor der Veränderung immer noch eine Nachwirkung des tiefen Einschnitts der Wende?
Gerhard Gundermann sang 1990: wo solln wir hin / wo bleiben wir - und tourte auch nach der Wiedervereinigung kaum durch westdeutsches Gebiet, blieb stattdessen dort, wo er sich beheimatet fühlte und auskannte – nicht ohne die Veränderungen, die natürlich auch seine Heimat betrafen, kritisch zu besingen: und ich sehe auf der Straße nach Norden / dieser Teil der Welt ist anders geworden / ich schwimme mittendrin in meinem alten Hemd/ gehöre noch dazu und bin schon ziemlich fremd (1998).
Dresden und Gerhard Gundermanns Hoyerswerda liegen weiter voneinader entfernt als nur die Autostunde, die es dauert, die Strecke zwischen beiden Städten zu fahren. Dresden ist nicht erst seit 30 Jahren eine tendenziell sattsame Stadt. Hier war schon immer die Krone und die Stadt behauptet sich im Wortsinne immer wieder neu. Solche Selbstgewissheit höre ich bei Gerhard Gundermann nicht heraus. Das Suchen und Ringen, das viele seiner Leider prägt, hilft mir bei meinem Zurechtfinden in und mit Heimat jedenfalls weit mehr, als noch ein weiteres, auf Alt erneuertes Gebäudehandtuch am Dresdner Neumarkt.
Würde sich die Gegenwart eventuell wieder mehr einer Art „Gleichgewicht“ annähern, wenn sich jeder ein kleines bisschen mit seiner eigenen Heimat(-vorstellung) auseinandersetzen würde und wieder den guten Willen besäße, das Gute in der Heimat zu finden (und sich in dieser zurecht zu finden)?
Das darf, kann, muss jede und jeder für sich selbst entscheiden. Ich jedenfalls will das für mich versuchen. Erst letzte Woche habe ich über einen Flyer erfahren, dass es in dem Viertel, in dem ich lebe, einen Bürgerverein gibt. Natürlich hatte ich gleich eine gewisse Sorge, dass das eine etwas karl-heinzige Runde sein könnte, aber ich will da einfach mal hingehen sobald das Virus nicht mehr im Viertel ist.
Das ist sicher ein gutes Ziel! Haben Sie denn noch weitere Pläne für die Zukunft, zum Beispiel im Hinblick auf Ihre schriftstellerische Tätigkeit? Oder anders gefragt - würden Sie die Möglichkeit nutzen, ein nächstes Buch zu schreiben, wenn sie Ihnen geboten werden würde?
Das möchte ich sehr gerne. Für ein weiteres Reportagebuch fehlt mir allerdings noch ein Vorhaben, das ich als zwingend einstufen würde.
Dann wünsche ich Ihnen, dass Sie bald ein solches Vorhaben finden und freue mich schon auf Ihr nächstes Buch. Frohe Weihnachten und Danke für das Gespräch!
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