SPOILERWARNUNG Vor ein paar Wochen wollte ich mir während meiner
Klausurenphase etwas Gutes tun und bestellte mir daraufhin einige Bücher, die
momentan in der New Adult-Szene so gehyped werden (was ich bisher noch nie
gemacht habe). Gerade um Bianca Iosivonis „Falling Fast“-Reihe bin ich sehr
lange herumgeschlichen, weil die Cover natürlich auch mich total verzaubert
haben. Warum ich nun doch enttäuscht und auch ein bisschen wütend bin, aber es wahnsinnig wichtig finde, einen Versuch zu starten, über die Wahrheit aufzuklären, könnt ihr im Folgenden lesen.
Ich habe vorsichtshalber eine Spoilerwarnung vor diesen Post gesetzt, da ich möglicherweise einige Dinge schreiben werde, die als Spoiler zählen könnten.
Zuerst ein paar Eckdaten:
Erscheinungsjahr: 2019
Genre: New Adult
Sprache: Deutsch
Verlag: LYX
Seiten: 480
Genre: New Adult
Sprache: Deutsch
Verlag: LYX
Seiten: 480
Der erste Teil der Reihe erzählt von Hailee, die sich für
diesen Sommer etwas ganz Besonderes vorgenommen hat. Sie will ihre Angst
überwinden und alleine einen Roadtrip quer durch die Staaten machen. Die
Handlung setzt ein, als Hailee das kleine Städtchen Fairwood erreicht, in dem
sie eigentlich nur kurz halten möchte, um ein Versprechen einzulösen, welches
sie jemandem vor einigen Monaten gab. Nachdem ihr Auto den Geist aufgibt, muss
sie jedoch wohl oder übel eine längere Zeit in Fairwood verbringen, bis die
passenden Ersatzteile für den Honda geliefert und eingebaut werden können.
Hailee lernt dort Chase kennen, einen umwerfend gut aussehenden Kerl, der seine
Semesterferien in der Heimat verbringt und ihr unbedingt ein Date abknöpfen
will. Sie verbindet Pflicht und Vergnügen, indem sie mit Chase zusammen das Versprechen
einzulösen versucht und sich gleichzeitig Stück für Stück in ihn verguckt,
während er ihr die schönen Flecken um Fairwood herum zeigt.
Ich wollte diesen Roman wirklich gern lesen, weil er ein
paar sensible Themen behandelt, die ich persönlich sehr wichtig zu besprechen
finde. Psychische Krankheiten wie Angststörungen und Depressionen werden leider
noch viel zu selten gut recherchiert und realitätsgetreu in Büchern beschrieben.
Deshalb bin ich immer auf der Suche nach Erzählungen, die genau das schaffen.
Bevor ich meine Meinung zu dem hiesigen Thema kundgebe (und ein wenig in meinen Mecker-Modus verfalle), möchte
ich allerdings noch ein paar Worte zum Inhalt und dem Schreibstil loswerden.
Allgemein ist die Geschichte um Hailee und Chase eine
ziemlich leichte Lektüre. Die Protagonisten sind recht sympathisch, der Leser kann
sich durch die Sichtwechsel in den einzelnen Kapiteln sowohl mit Hailee als
auch mir Chase identifizieren und der Handlungsort gleicht einem
Postkartenmotiv. Ich fand es schön, dass in diesem Roman etwas anderes als die
Entwicklung einer romantischen Liebesbeziehung im Vordergrund stand, nämlich das Finden des Manuskripts von Hailees verstorbenem besten Freund Jesper. Trotzdem
hätte ich mir gewünscht, dass die Geschichte ein bisschen mehr Tempo aufnimmt,
sehr oft hatte ich das Gefühl, dass die Protagonisten sich kaum von der Stelle
bewegen.
Begünstigt wurde dieses Empfinden durch die wirklich SEHR
ausschweifenden Erklärungen von Gefühlszuständen, Landschaftsbeschreibungen,
Ereignissen in der Vergangenheit (teilweise waren es Ereignisse, die irgendwelche
Nebenfiguren betrafen und kaum einen Einfluss auf den Verlauf der Handlung
hatten), sodass ich leider öfter als nötig Seiten übersprungen habe, bis wieder
die Handlung einsetzte. Dadurch wurde die Spannung, die ab und zu ein kleines
bisschen zum Vorschein kam, sofort wieder zunichte gemacht.
Sehr gut verstehen konnte ich Chase‘ familiären Hintergrund,
sein Dilemma zwischen dem, was seine Eltern als berufliche Zukunft für ihn
vorgesehen haben und seinen wirklichen Wünschen, selbst wenn diese noch gar
nicht so klar definiert waren.
Was mich sehr irritiert hat, war der zeitliche Rahmen, in
dem die Handlung stattfand. Es hieß direkt nach ihrer Ankunft, Hailee habe eigentlich
kaum Zeit für diesen außerplanmäßigen Zwischenstopp und nach einer (oder zwei?)
Wochen in dem Städtchen gab es eine Stelle, an der es hieß, sie müsse
eigentlich sofort losfahren, wenn sie ihren Zeitplan einhalten müsse und selbst
dann wäre es nicht sicher, ob sie es rechtzeitig nach Hause schaffen würde.
Trotzdem zaubert sie immer und immer wieder noch ein bisschen Zeit aus dem Hut,
mal ein ganzes Wochenende, dann wieder einen weiteren Tag. Das fand ich nicht
wirklich gut durchdacht und hat den potenziellen Zeitdruck, der ab und zu
erwähnt wurde, sofort wieder verpuffen lassen.
Nun kommen wir aber zu meiner Herzensangelegenheit:
Die Protagonistin leidet unter dieser Störung, trotzdem
schafft sie es problemlos, allein über mehrere Wochen mit dem Auto unterwegs zu
sein, auffällige, papageienbunte Kleider zu tragen, allein in eine Bar zu
gehen, sich an einen wildfremden Kerl heranzuschmeißen, einen Job mit viel
sozialem Kontakt anzunehmen, die Eltern des toten Freundes zu besuchen, die sie
vorher nie kennengelernt hat und schafft es, sich innerhalb von einer oder zwei
Wochen in eine Gruppe von Leuten zu integrieren (die sich alle schon seit der
Highschool kennen), sodass sie sich am Ende der Zeit kaum von ihnen trennen kann.
Das, liebe Leute, ist keine Angststörung. Das ist maximal
Ängstlichkeit. Solche Dinge schafft jemand, der eine ernsthafte Störung hat
nicht, nur weil er sich vorgenommen hat, „mal mutig zu sein“. Eine Angststörung
besteht nicht aus ein oder zwei Erwähnungen von „ich erstarre innerlich“ und
ein paar gestotterten Sätzen.
Eine Angststörung bedeutet, ständig angespannt zu sein; vor einem Telefonat, vor einem Supermarktbesuch, vor einem Termin und noch viel mehr während dieser Situationen. Es bedeutet, sich so unauffällig wie möglich
zu kleiden und zu verhalten, und bloß niemandem Umstände zu machen, ja am
liebsten unsichtbar zu sein, um niemanden zu nerven. Man rennt nicht in
auffälligen Röcken rum und wohnt, ohne wahnsinnige Schuldgefühle zu entwickeln,
kostenlos in Wohnungen, die andere Arbeiter eigentlich viel dringender
benötigen.
Angst bedeutet, sich tagelang vor sozialen oder komplizierten
Situationen zu fürchten und sie dann meistens im letzten Moment doch abzusagen,
weil es einem alles zu viel wird. Oder zwar hinzugehen, sich jedoch durchgehend
unwohl zu fühlen, Übelkeit und Angstschweiß, Ohnmacht und den ständigen Drang
zu weinen zu verspüren, weil jede Person in deinem Umfeld (laut deiner
Wahrnehmung) irgendwie belästigt von dir zu sein scheint.
Eine Angststörung besteht aus Panikattacken in (für gesunde Menschen) normalen Situationen: beim Aufruf in der Schule, beim Kellner-zum-Bezahlen-heranwinken, beim Kommunizieren mit den Eltern von Freunden oder sogar mit den Freunden selbst.
Angst bedeutet auch, sich nicht zu trauen, offen Emotionen
zu zeigen, sich zu freuen oder zu lachen, weil es peinlich sein könnte. Angst
bedeutet, aus eben jenem Grund auf andere immer abweisend oder emotionslos zu
wirken.
Und nichts davon lässt sich einfach so überwinden, so
traurig es klingen mag. Eine Angststörung ist nichts, was man mal eben
ausschalten kann, wenn man einen schönen Abend verbringen kann. Man muss sie in
kleinen Schritten bekämpfen, und kleine Schritte bedeuten nicht: Auf einen Roadtrip
zu gehen und allein im Auto zu schlafen oder mit fremden Leuten, die sich alle
untereinander kennen, in eine Bar zu gehen.
Kleine Schritte bedeuten stattdessen: Zu lernen,
selbstständig etwas in einem Café zu bestellen, ein Telefonat zu führen, ohne
sich vorher alle Sätze parat zu legen oder überhaupt erst einmal allein vor die
Tür zu gehen.
Leider hat dieses Buch den Eindruck vermittelt, sehr
schlecht recherchiert zu sein im Hinblick auf diese psychische Erkrankung und schien
nur dieses Thema behandeln zu wollen, um „ernst“ zu wirken. Meiner Meinung nach
sollten solche Krankheiten entweder mit einer sehr guten Recherche oder gar nicht
in Romane integriert werden, denn die Gefahr ist zu groß, die Krankheit zu
relativieren und den Eindruck zu vermitteln: Ach, es ist ja überhaupt nicht so
schlimm.
Denn das ist für die Akzeptanz erkrankter Personen in der
Gesellschaft fatal und wäre ein großer Rückschritt.
Ich weiß, dass die "nackte Wahrheit" über Krankheiten, seien sie psychisch oder körperlich, solchen romantischen Erzählungen die Leichtigkeit nehmen. Dass Erzählungen dadurch auch aussichtslos, deprimierend oder verzweifelt wirken können. Aber genau das ist die Wahrheit. Eine Krankheit ist kein Accessoire, das eine Person interessant und einzigartig macht. Seltsamerweise gelang es Bianca Iosivoni bei der Beschreibung von Jespers Erkrankung sehr gut, dieses Dilemma darzustellen, nur bei Hailee wurde es dann ungenau und irgendwie auch absurd.
Bewertung
Wenn ich nun alle meine oben genannten Kritikpunkte gegeneinander aufrechne, gebe ich dem Roman insgesamt 3 Herzen. Den zweiten Teil werde ich nicht lesen.Liebe Grüße,
Isa
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